Shoplifters – Familienbande

Jap 2018

Bei seinem siebten Streich in Cannes hat es für Hirokazu Kore-eda geklappt: Die Goldene Palme für sein großartig sensibles Drama SHOPLIFTERS. Wie so oft geht es dem japanischen Meisterregisseur um Familie und gesellschaftliche Außenseiter. Ein Ladendieb und eine Arbeiterin finden nachts auf der Straße ein vernachlässigtes Mädchen und nehmen es spontan bei sich auf. Kleine Leute mit großem Herzen demonstrieren wie Würde geht und Solidarität. Ein berührendes Lehrstück in Humanismus und Nächstenliebe - ganz ohne Zeigefinger oder moralinsaure Predigt.

Regie
Hirokazu Kore-eda
Besetzung
Lily Franky, Sakura Ando, Mayu Matsuoka, Kilin Kiki, Kairi Jyo
Länge
121 min
FSK
12

Die Shibatas leben eher am Rande der japanischen Gesellschaft. Die Lebensumstände der fünfköpfigen Familie sind etwas beengt, urig, aber nicht ungemütlich, der Umgangston ist ein wenig rau, dafür klar und herzlich. Oma Hatsue ist das heimliche Oberhaupt und steuert die finanziellen Verhältnisse über die Rente ihres verstorbenen Mannes. Halbschwester Aki strippt in einer winzigen Spiegelkabine, während Tagelöhner Osamu seinem Sohn Shota alles beibringt, was man als cleverer Ladendieb wissen muss. Schule fällt aus, schließlich gehen ja nur die Kinder dorthin, die zu Hause nicht lernen können. Als die beiden von einem erfolgreichen »Einkauf« zurückkehren, bemerken sie ein verängstigtes Mädchen, das sie – es ist bitterkalt – kurzerhand mitnehmen. Ehefrau Nobuyo ist zunächst skeptisch und ahnt künftige Verwicklungen voraus, erkennt aber schnell die Verwundungen der kleinen Juri. Als sie das Kind nach Hause bringen wollen, werden sie Zeugen eines hässlichen Streits der hässlichen Eltern, kehren wieder um und leben fortan als sechsköpfige Familie, wohl wissend dass diese Art außergesellschaftlicher Harmonie nur auf Zeit zu haben ist. Regisseur Kore-eda hat sich eines äußerst komplexen Themas mit bemerkenswerter Einfühlsamkeit und Leichtigkeit angenommen. Armut, Kindesmisshandlung, traditionelle Werte – einiges prallt hier ganz ohne pathetischen Mitleidston aufeinander und zwingt auch uns Zuschauer immer wieder zur Neubewertung des Gesehenen. Erst nach und nach kommen wir den Geheimnissen der Shibatas auf die Spur, die in ihrem selbstgebastelten Moralsystem fast ohne Unrechtsbewusstsein so gut zurechtkommen wie der Rechtsstaat in seiner Heiligsprechung der traditionellen Familie – nur mit deutlich mehr Wärme füreinander. Ausgerechnet Shota ist es, der an dem flüchtigen Konstrukt zu zweifeln beginnt und die Frage nach der Rissfestigkeit der Familienbande existenziell neu aufwirft. Exzellente Darsteller, an der Spitze die inzwischen verstorbene »Oma« Kiki Kirin, eine nie rührselige Erzählweise und ein ordentlicher Kleie-Klumpen Lebensklugheit – die Goldene Palme von Cannes sollte nicht die letzte große Auszeichnung gewesen sein!
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