Das Mädchen, das lesen konnte

F 2017

Bezwingend schön sind die Bilder, mit denen die Geschichte eines Bergdorfes ohne Männer in der Provence erzählt wird. Kann das ein Makel sein? Natürlich nicht. Es ist eine Botschaft.
1851. Alle Männer des Dorfes werden mit brutaler Gewalt von Napoleons Soldaten verschleppt. Die zurückgebliebenen Frauen warten vergeblich auf ihre Rückkehr. Wie soll es nun weiter gehen, jahrein, jahraus? Das ist die existenzielle Frage. Abgeschnitten von der Welt, erfinden sie ihre eigene Kultur, ohne sittsame Gängelei von Kirche und Staat. . Marine France schlägt souverän und betörend unideologisch in Zeiten von #me too ein neues Kapitel für das Kino auf. Solidarität ist das Gebot der Stunde, der Wochen, der Monate. Vermittelt wird eine Sinnlichkeit, die nie die Spannung verliert. Ein Film wie ein Gedicht.

Regie
Marine Francen
Besetzung
Pauline Burlet, Géraldine Pailhas, Alban Lenoir, Iliana Zabeth
Länge
98 min

1851. Über Nacht werden alle Männer des Dorfes von Napoleons Soldaten mit brutaler Gewalt verschleppt. Ihr Schicksal ist ungewiss, die Frauen des Dorfes warten vergeblich auf ihre Rückkehr. Wie soll es weitergehen? Das ist die existenzielle Frage, denn die Frauen schaffen mit Geschick und Kraft zwar alle Arbeiten, die auf dem Land im Lauf eines Jahres anfallen, Säen, Ernten, Lagern der Ernte, Viehzucht, Gartenbau. Doch wie kann es weitergehen, jahrein, jahraus? Der französische Titel des Films – LE SEMEUR – verrät es. Le Semeur – Der Sämann. In dieser zwangsweise matriarchalen Welt fassen die Frauen einen Entschluss. Denn ihr abgelegenes Dorf in den Bergen soll nicht aussterben. Nicht nur die Felder brauchen Samen. Sie brauchen eine Sämann. Einen, der nicht nur einer gehört, er müsste für alle da sein. Das beschließen die Frauen um die Bäuerin Violetta. Sie wollen gebären. Marine Francen schlägt souverän und betörend unideologisch in Zeiten von #me too und auch wunderbarer Hollywoodliebesfilme ein neues Kapitel für das Kino auf. Sie zeigt in einem historischen Kontext weibliches Begehren, politischen Widerstand (die Verteidigung der Republik gegen Napoleon), Solidarität unter Frauen, Verantwortungsbewusstsein für die verbliebenen Kinder. Alles Schwerpunkte der späteren autonomen Frauenbewegung. Durch die gemeinsame Arbeit auf dem Feld finden die Frauen auch außerhalb der engen Wohnstuben zueinander. Abgeschnitten von der Welt, erfinden sie ihre eigene Kultur, ohne sittsame Gängelei von Kirche und Staat. Als schließlich ein Mann auf der Flucht ins Dorf kommt, verliebt sich Violetta. Was dann passiert, ist sehr viel mehr als nur der mächtige Wunsch, sich fortzupflanzen, schwanger zu werden. Es gibt Momente zaghafter Zärtlichkeit, die zu einer vertrauensvollen Sexualität führen, und es gibt diesen Mann, der eine Aufgabe zu erfüllen hat. Die Blicke der Frauen mahnen Violetta. »Du darfst diesen Mann nicht für dich allein behalten. Du musst ihn teilen!« Solidarität ist das Gebot der Stunde, der Wochen, der Monate. Vermittelt wird eine Sinnlichkeit, die nie die Spannung verliert. Ein Film wie ein Gedicht.
ges