Es beginnt höchst unscheinbar: In einer gesichtslosen
Stadt im Osten Deutschlands arbeitet Ania,
ein duckmäuserisches Mauerblümchen, in einem
austauschbaren Unternehmen. Tag für Tag fährt
sie aus der Plattenbausiedlung mit der Bahn in die
Firma, sitzt am Computer, holt ihrem Chef Kaffee
und ist eigentlich nicht wirklich da. Wenn ihre
Kollegen beim Betriebsfest ausgelassen feiern,
sitzt Ania still und einsam am Fenster und schaut
in den Regen.
Doch dann passiert etwas, das ihre gesamte
Existenz auf den Kopf stellt: Sie sieht einen Wolf,
ganz kurz nur, aus dem Bus heraus, da sitzt das
Tier würdevoll am Rand des Parks. Einen Blick tauschen
Frau und Tier aus, ein Blick, der alles ändert.
Ania versucht das Tier einzufangen, lockt es mit
Fleischstücken und quartiert den Wolf schließlich
in ihrer Wohnung ein. Zunehmend lässt sie sich
gehen, zieht nicht mehr ihre langweilige Kleidung
an, sondern bewegt sich fast nackt durch die Wohnung
und die Welt. Eine ungewöhnliche, zärtliche
Beziehung zwischen Tier und Mensch entsteht,
die das ebenso geordnete, wie langweilige Leben
Anias für immer aufbricht.
Schon in Jeans und Das Herz ist ein dunkler
Wald interessierte sich Nicolette Krebitz
weniger für Geschichten als für Atmosphäre,
Stimmungen, Gemütszustände. Und wenn sie
hier stilistisch weniger impressionistisch und
experimentell vorgeht, hält sie sich immer noch
fern von einer klassischen Narration.
In gewisser Weise ist wild die ausführliche
Darstellung einer Metapher, eines Bildes: Der einsame
Wolf, Zivilisation /Wildnis, die Zärtlichkeit
der Wölfe, das Tier im Mann bzw. in der Frau:
All diese Bilder kommen in den Sinn, wenn man
beobachtet, wie sich Ania vom Mauerblümchen
zur erotisch und emotional aufgeladenen Frau
entwickelt, die schließlich aus der Stadt in die
Wildnis flieht.
Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg spielt
bemerkenswert furchtlos und vor allem ernsthaft,
gerade auch die zunehmend innige »Beziehung
« zwischen Frau und Wolf. Ein fast symbiotisches
Verhältnis, das teilweise gar sinnliche
Züge annimmt: Skandalträchtig ist dies jedoch
nicht, stattdessen der gewagte, ungewöhnliche,
auf jeden Fall sehenswerte Versuch, die Leere und
Banalität der Moderne durch eine bizarr anmutende
Versuchsanordnungen aufzubrechen.
mm