Lion - Der lange Weg nach Hause

Der fünfjährige Saroo lernt früh, was bittere Armut bedeutet. Weil die paar Rupien, welche die alleinerziehende Mutter mit Steineklopfen verdient, nicht reichen, entert der Knips mit seinem älteren Bruder waghalsig fahrende Güterzüge, um mit ein paar geklauten Kohlen die klamme Haushaltskasse aufzubessern. Dann geschieht das Unglück. Bei einem ihrer nächtlichen Raubzüge wird das Duo in einem Bahnhof getrennt. In seiner Panik steigt der kleine Saroo in den nächstbesten Zug – der ihn ohne Halt in das 1.600 Kilometer entfernte Kalkutta bringen wird. Orientierungslos landet der verzweifelte Junge auf der Straße und schließlich in einem Kinderheim der schlimmsten Sorte. Doch der Kleine hat Glück im Unglück. Ein liebevolles Paar aus Australien adoptiert den Knirps. Zwanzig Jahre später begibt sich Saroo (nun gespielt von slumdog millionär-Star Dev Patel) wie besessen auf die Spurensuche nach seiner Herkunft, an die er kaum noch Erinnerungen hat. Mit Hilfe von Google-Earth-Karten versucht er, den Ort seiner Heimat ausfindig zu machen. Das große Puzzle scheint schier unauflösbar. Aber schließlich gibt das Schicksal einen entscheidenden Hinweis. Der für seine Werbefilme mehrfach prämierte Australier Garth Davis gibt mit diesem starbesetzten Melodram seinen nicht minder preisverdächtigen Kinoeinstand. Die Clip-Vergangenheit ist dem visuellen Konzept des Melodrams deutlich anzumerken. Gleich zum Auftakt wird der kleine Held von einem Schwarm gelber Schmetterlinge umringt. Als er später in der großen Stadt verloren geht, schillert der bedrohliche Moloch in unheilschwangeren Gelbtönen, die fast surreal wirken. Dramaturgisch erweist sich Davis gleichfalls als überaus effizienter Geschichtenerzähler. Der sechsjährige Sunny Pawar öffnet dabei mit Leichtigkeit die Herzen des Kinopublikums. Freude, Angst, Verzweiflung, Trotz – er beherrscht die emotionale Klaviatur mit Bravour. Nicole Kidman gelingt der emotionale Balanceakt der fürsorglichen Adoptivmutter mit großer Glaubwürdigkeit. Patels Löwenmähne hat mit dem Titel übrigens nichts zu tun, dessen wahre Bedeutung erfährt man erst zum Abspann.
doss