Die andere Seite der Hoffnung

FI 2017

Teil unseres Sonderprogramms zum Europäischen Kinotag am 08.11.2020 | Flucht, Rassismus, Solidarität – Aki Kaurismäki leistet seinen Beitrag zur längst entgleisten europäischen Debatte. Ohne Pathos, ohne Zeigefinger, dafür umso eindringlicher. Dafür bekam Kaurismäki auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für die Beste Regie!

Regie
Aki Kaurismäki
Besetzung
Sakari Kuosmanen, Sherwan Haji, Simon Al-Bazoon, Ilkka Koivula, Nuppu Koivu
Länge
98 min
FSK
6

Es gibt nicht viele Regisseure, denen ein derart unverkennbarer Ton und eine so einzigartige Bildsprache zur Verfügung stehen, dass man mit der ersten Einstellung auch schon angekommen ist. Im finnischen Universum von Aki Kaurismäki. Der Arbeitstitel seines neusten Werks lautete refugees, und es lag auf der Hand, dass dieser fabelhafte Erzähler des Außenseitertums seine Idee vom menschlichen Umgang miteinander nicht mit großer Geste, sondern eher mit einem stillen, präzisen Faustschlag darbieten würde. Kaurismäki nähert sich seinem Thema von zwei Seiten. Khaled ist aus dem syrischen Aleppo Richtung Europa geflohen. In dem Grenzchaos auf der Balkanroute hat er seine Schwester verloren, die er nun auf einer Odyssee durch europäische Auffanglager wiederzufinden hofft. In Finnland angekommen, beantragt er offiziell Asyl, wird jedoch mit bizarrer bürokratischer Begründung abgelehnt. Wieder begibt er sich auf die Flucht, diesmal vor der Abschiebung, und landet als Illegaler auf der Straße. Hier trifft er – Kaurismäkis zweiter Strang – auf Wikström, einen ehemaligen Handelsvertreter für Oberhemden, der in gebotener Sprachlosigkeit erst seine Frau verlassen, sein Vertretergeschäft an den Nagel gehängt, Grundkapital erpokert und schließlich ein unrentables Restaurant samt skurriler Belegschaft übernommen hat. Nach einer zutiefst finnischen Keilerei nimmt Wikström Khaled in seine illustre Truppe auf. Einmal mehr gelingt es Aki Kaurismäki, seine Helden in größtmögliche Trostlosigkeit zu hüllen, ohne ihnen ihre Würde zu nehmen. Im Gegenteil: Immer bleibt ein Funken Hoffnung, immer sind diese vermeintlich emotionsfreien Eigenbrötler zu Außergewöhnlichem fähig. Da erklärt die wunderbare Kati Outinen in einer kleinen Nebenrolle staubtrocken, wie sie nach 35 Jahren Langeweile ihr Textilgeschäft aufgeben will, um am anderen Ende der Welt Hula zu tanzen. Da wird Khaled vor einem rechtsradikalen Schlägertrupp geschützt – durch solidarische Obdachlose. Kaurismäkis finnisch-globale Gegenwart ist trübe, melancholische Ödnis, aber nie ohne Möglichkeit, nie ohne zwischenmenschlichen Hoffnungsfunken, nie ohne Humor und ganz sicher nie ohne finnischen Rock ’n’ Roll.
ll